Wachstumsverzicht hilft der Umwelt nur wenig

Eine neue MCC-Studie empfiehlt, sich von der Debatte über Wachstum zu lösen und Wohlstand neu zu definieren, etwa am Zugang zu Energie oder Bildung.

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09.02.2015

Ein Verzicht auf globales Wirtschaftswachstum wäre ein teurer Weg zur Verminderung des Klimawandels: Die Vermeidung des Ausstoßes von einer Tonne CO2 würde dann beinahe 2000 Euro kosten, statt derzeit, wie etwa im Rahmen des Emissionshandels, nur etwa fünf bis zehn Euro. Kosteneffiziente Emissionsreduktion kann dagegen helfen, andere gesellschaftliche Ziele zu erreichen, selbst wenn Wirtschaftswachstum an sich kein Ziel ist. Eine neue Studie empfiehlt daher, sich von der Wachstumsdebatte zu lösen und Wohlstand neu zu definieren.

Dies sind die Kernergebnisse der neuen Untersuchung „Green growth, degrowth, and the commons“ von Michael Jakob und Ottmar Edenhofer vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Sie ist jetzt im Fachmagazin “Oxford Review of Economic Policy” veröffentlicht worden.

In der Wachstumsdebatte werden derzeit vor allem zwei Ansätze verfolgt: Auf der einen Seite wird davon ausgegangen, dass vor allem die westlichen Gesellschaften ihren Konsum radikal zusammenstreichen müssten, um die Übernutzung der begrenzten Ressourcen zu vermeiden. Selbst wenn das momentane globale Einkommen nur umverteilt würde – ohne dass dabei der Konsum und somit die Übernutzung natürlicher Ressourcen verringert würden – blieben für jeden Menschen nur 10.000 US-Dollar. Für Deutschland würde dies eine Reduktion von durchschnittlich 75 Prozent bedeuten.  Auf der anderen Seite gehen Vertreter der Theorie des „Grünen Wachstums“ davon aus, dass Umweltschutz das Wachstum sogar ankurbeln kann. Doch für beide Thesen gibt es laut der MCC-Studie wenig überzeugende empirische Belege. 

Die derzeitige Annahme der meisten Staaten lautet, sich mit ihrer Politik entweder zwischen dem Wachstum ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) oder aber dem Umweltschutz entscheiden zu müssen. Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz. Statt dem BIP sollte sich die Politik auf ein Wohlstandkonzept beziehen, das stärker die Umweltqualität und den Zugang zu Infrastrukturen wie Elektrizität, Wasser oder zu Bildungsangeboten in den Blick nimmt.

„Wir sollten nicht länger auf kleine Veränderungen bei der Nachkommastelle des BIP schielen, sondern uns fragen, welchem gesellschaftlichen Ziel die Wirtschaftspolitik dienen soll“, sagt MCC-Wissenschaftler Jakob. „Wir können die weltweiten Lebensbedingungen verbessern, auch ohne dass wir die globalen Ressourcen weiter hemmungslos ausbeuten – beispielsweise durch eine wirkungsvolle CO2-Bepreisung.“ 

Die neue Arbeit von Jakob und MCC-Direktor Ottmar Edenhofer zeigt in der ökonomischen Debatte eine alternative Perspektive auf. „Wir brauchen Leitplanken, um sowohl mehr Wohlstand im Sinne besserer Lebensbedingungen zu erreichen als auch die Umwelt zu schützen“, sagt Jakob.

„Es wäre wichtig, dass für die Politik Indikatoren entwickelt werden, die anzeigen, wann eine Gesellschaft bereits von der Substanz lebt, wann die Atmosphäre übernutzt und das innovative Wissen zu wenig genutzt wird“, sagt Edenhofer. „Es muss daher sichergestellt werden, dass ausreichend in das natürliche Kapital investiert wird, aber auch in eine saubere Wasserversorgung, in die Bildung oder Gesundheitsversorgung. So könnten CO2 Steuern zur Finanzierung dieser Investitionen genutzt werden - das vermindert die Treibhausgase und hilft den Armen in den Entwicklungsländern.“

Als Grundlage für solche Entscheidungen könnte ein neuartiges „pragmatisch-aufgeklärtes“ Model (PEM) des MCC für das Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft dienen. Dabei gibt weder die Wissenschaft wie in einer Technokratie der Politik vor, was sie umzusetzen habe, noch bestimmt die Politik irrational und von den Fakten losgelöst ihre wertbeladenen Ziele. Stattdessen könnten Wissenschaftler, ähnlich wie Kartografen, die verschiedenen Politikoptionen mit ihren praktischen Konsequenzen objektiv untersuchen. Die Politik könnte dann über diese Optionen, ähnliche wie Navigatoren, nach einer demokratischen Entscheidung, die auf einer öffentlichen Debatte fußt, entscheiden.

Weitere Informationen:

Green growth, degrowth, and the commons 

Michael Jakob; Ottmar Edenhofer

Oxford Review of Economic Policy 2014 30 (3): 447-468

doi: 10.1093/oxrep/gru026