Knopf, B., Geden, O.

Ist Deutschland auf dem 1,5-Grad-Pfad? Eine Einordnung der Diskussion über ein nationales CO2-Budget

in MCC-Arbeitspapier, 09.03.2022

Arbeitspapiere , Directorate

Der im November 2021 vorgestellte Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung bekennt sich sehr viel deutlicher als die Vorgängerregierung zur Orientierung an einem Erwärmungsniveau von 1,5 °C – der Koalitionsvertrag formuliert explizit den Anspruch, „Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen“. Ungeklärt bleibt in der deutschen Klimapolitik bislang, nach welchen Benchmarks die Angemessenheit nationaler Politik im globalen Maßstab zu bemessen wäre. In diesem Kontext analysieren wir den in der deutschen Debatte sehr prominenten Budget-Ansatz, der eine Pro-Kopf-Verteilung des sogenannten globalen CO 2-Restbudgets vorsieht, und benennen die Voraussetzungen und Fallstricke eines solchen Vorgehens.


Auf globaler Ebene lässt sich ein CO 2-Budget bestimmen, das angibt, wieviel CO 2 noch in die Atmosphäre abgegeben werden darf, um die globale Erwärmung auf eine bestimmte Temperatur zu begrenzen. Während sich das CO 2-Budget auf globaler Ebene unter bestimmten Unsicherheiten für verschiedene Temperaturniveaus prinzipiell beziffern lässt, ist die Ableitung eines nationalen Restbudgets (Budgetieren) daraus keineswegs eindeutig. Denn abgesehen von den fortwährenden Unsicherheiten bei der Bestimmung der globalen Budgets ist die Zuweisung einer exakt bezifferten nationalen Verantwortung vom gewählten Gerechtigkeitsprinzip abhängig. Zudem legt das Pariser Abkommen ein globales Langfrist-Temperaturziel fest, dessen Einhaltung nur mit einer kollektiven Anstrengung zu erreichen ist. Nationale Ziele sind darüber hinaus oftmals als Langfristziele für Treibhausgas (THG)-Neutralität definiert, während sich das globale Budget nur auf CO2 bezieht. Diese Aspekte sprechen gegen den Budget-Ansatz als politisch handlungsleitende Größe auf nationaler Ebene.


Allerdings kann umgekehrt das Kumulieren, also das Umrechnen nationaler Zielpfade in die voraussichtliche Gesamtmenge an Emissionen, ein gangbarer Weg sein, um das nationale Ambitionsniveau darzustellen. Dabei sind die Ziele im deutschen Bundes-Klimaschutzgesetz als THG- Minderungsziele mit einem Langfristziel für THG-Neutralität bis 2045 formuliert. Da es zwar auf globaler Ebene ein CO 2-Budget, aber kein THG-Budget gibt, muss auf nationaler Ebene eine Umrechnung in eine kumulierte CO 2-Menge stattfinden. Dies ist mit Unsicherheiten behaftet. Weiterhin bestehen bei der Berechnung einige Freiheitsgrade durch den Einbezug der CO 2-Senken, deren Anrechnung aus dem Klimaschutzgesetz nicht eindeutig ableitbar ist. Unter bestimmten Annahmen ergeben sich aus dem deutschen Klimaschutzgesetz kumulierte Emissionen von 6,4 bzw. 6,2 Gigatonnen (Gt )CO 2, je nach Betrachtungszeitraum bis 2045 oder 2050.


Als exemplarischer Vergleichsmaßstab für das Ambitionsniveau der deutschen Klimaschutzziele wird hier das CO 2-Restbudget auf Basis einer global gleichen Pro-Kopf-Verteilung ab 2016 herangezogen, wie vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) vorgeschlagen. Auf Basis dieser Methodik stünden Deutschland ab 2022 zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,75 °C noch 6,0 GtCO 2 und für 1,5 °C noch 3,0 GtCO 2 zu. Mit diesem Ansatz würden also die kumulierten Emissionen auf Basis des Klimaschutzgesetzes in etwa doppelt so hoch liegen wie ein Budget für eine Begrenzung auf 1,5 °C, sie würden aber in etwa einem Budget für eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,75 °C entsprechen.


Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen für die deutsche Klimapolitik. Zum einen müssen die nationalen Ziele mit konkreten Maßnahmen zur Umsetzung unterlegt werden. Denn das Klimaschutzgesetz enthält lediglich Zielbestimmungen – real sinken werden die Emissionen nur durch konkrete Maßnahmen und Instrumente. Um darüber hinaus eine Orientierung Deutschlands an 1,5 °C glaubwürdig und nachvollziehbar zu machen, wird sich die Bundesregierung aber auch zu zwei zentralen Fragenkomplexen positionieren müssen. Zum einen ist es die Frage, nach welchen Gerechtigkeitskriterien ein deutscher Beitrag zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 °C zu bemessen wäre. Daran schließt sich die Frage an, ob dieser faire nationale Beitrag ausschließlich in Deutschland erbracht wird oder ob auch im Ausland Anstrengungen zur Emissionsminderung unternommen werden sollen. Falls letzteres angestrebt wird, braucht es eine aktive internationale Klimapolitik mit konkreter und messbarer Erfolgskontrolle.

Um glaubwürdig zu bleiben, sollte die Bundesregierung Kriterien nennen, an denen sie ihre Klimaschutzziele messen lassen will. N ur so wird das nationale Ambitionsniveau transparent und wissenschaftlich überprüfbar.