Politik-Dialog

Das Problem: Kurzsichtige Entscheidungen

Regierungen und andere Interessenvertreter handeln oftmals kurzfristig und national. Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung sind allerdings sehr langfristige und komplex miteinander verwobene Themen. Ein Beispiel: Die Beschränkung der Erderwärmung erfordert möglicherweise die Nutzung von Biomasse zur Erzeugung sauberer Energie in bisher unbekanntem Ausmaß. Dies kann jedoch zu einer zunehmenden Entwaldung, steigenden Nahrungsmittelpreisen und einem Verlust der Artenvielfalt führen. Diese Vielfalt an Konsequenzen und komplexen Konflikten und Synergien fordert die politischen Entscheidungsträger und die Gesellschaft insgesamt dazu heraus, die verfügbaren Optionen und politischen Maßnahmen neu zu bewerten oder sogar die politischen Zielsetzungen neu zu rechtfertigen. Hier kommt der Wissenschaftsgemeinde eine zentrale Rolle zu: Ihre Aufgabe ist es, den Diskurs über globale und langfristige Probleme, verfügbare Optionen und die jeweiligen praktischen Auswirkungen zu fördern und eine fundierte Informationsgrundlage bereitzustellen.

Die Herausforderung: Explorieren von Politikpfaden

Um unter diesen Bedingungen eine rationale, deliberative und demokratische Entscheidungsfindung zu fördern, ist eine kontinuierliche Kommunikation zwischen Gesellschaft, Wissenschaft und Politik erforderlich. Statt die öffentliche Debatte einzuengen, sollten die wissenschaftlichen Expertinnen und Experten eine Landkarte verschiedener Handlungsoptionen zu Themen mit weitreichenden Konsequenzen erstellen. Ihre Aufgabe ist es, durch die Formulierung und Diskussion der verfügbaren Optionen verschiedene Vorgehensweisen aufzuzeigen. Diese Optionen müssen unter Berücksichtigung der jeweiligen praktischen Auswirkungen in einem sozialen Lernprozess überarbeitet werden, ohne dass die Wissenschaft die politische Entscheidung in die eine oder andere Richtung vorwegnimmt. Anders formuliert: Die Wissenschaft zeigt das Potenzial und die Risiken gangbarer Wege für die Politik auf, erkennt dabei jedoch stets an, dass die Steuerungsfunktion der Politik obliegt. Die anspruchsvolle Aufgabe der Untersuchung von Politikpfaden kann am besten mithilfe von wissenschaftlichen Assessments umgesetzt werden.

Solche groß angelegten Assessments zeichnen sich durch die folgenden zentralen Merkmale aus (siehe blaue Elemente in der Abbildung unten):

  • Peer-Reviewte Veröffentlichungen und Meta-Analysen als Grundlage (unten);

  • Diverse wissenschaftliche Expertinnen und Experten, die Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen mit Annahmen und politischen Aspekten zusammenführen (Mitte);

  • Politik und mehrere Interessengruppen (Stakeholder), die die unterschiedlichen Werte, Bedenken, Sichtweisen und Fachkenntnisse in den jeweiligen Phasen des Assessment-Prozesses schrittweise und transparent untersuchen (oben);

  • Der Assessment-Prozess selbst, bei dem Wissenschaft, Politik und andere Interessenvertreterinnen und -vertreter über alternative politische Optionen und Pfade sowie deren jeweilige Auswirkungen beraten und Kontroversen und Unsicherheiten transparent machen (Mitte);

  • Das Ergebnis, d. h. alternative Politikpfade, die öffentlich verfügbar sind und verschiedene politische Handlungsoptionen oder Maßnahmen aufzeigen, ebenso wie die damit verbundenen Risiken, Kosten und Chancen (rechts).

Abbildung 3: Zentrale Merkmale von Assessments und der Beitrag des MCC (Quelle: adaptiert von Kowarsch 2015, Nature Climate Change)

Um die Glaubwürdigkeit, Zulässigkeit und Relevanz solcher wissenschaftlicher Assessments sicherzustellen, orientiert sich unsere wissenschaftliche Politikberatung an einem speziell entwickelten Modell für das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik, das die Transformation zur Nachhaltigkeit als einen schrittweisen Lernprozess beschreibt, an dem Wissenschaft, Entscheidungsträgerinnen und -träger und die Gesellschaft beteiligt sind. Dieses sogenannte „pragmatisch-aufgeklärte Modell“ (Pragmatic-Enlightened Model, PEM) geht davon aus, dass eine gemeinsame Exploration alternativer Politikpfade zusammen mit den zugehörigen Implikationen in integrierten wissenschaftlichen Assessments notwendig ist, um soziale Konflikte, Synergien und Unsicherheiten transparent zu machen und tragfähige politische Lösungen aufzuzeigen (siehe Abbildung).

Abbildung 4: Das pragmatisch-aufgeklärte Modell (Quelle: Edenhofer und Kowarsch 2015, Environmental Science and Policy)

Das PEM empfiehlt, dass Forschende und Interessengruppen im Anschluss an die gemeinsame Problemanalyse (Kästchen links oben in der Abbildung) die Ziele, Maßnahmen und Folgen gemeinsam untersuchen (Kästchen links unten). Die beiden weißen Kästchen (Mitte, rechts unten) stellen Schritte im Prozess dar, die außerhalb des Assessment-Prozesses selbst liegen, wie die öffentliche Debatte über alternative Politikpfade und die politische Entscheidungsfindung und Umsetzung durch die Politik. Am Ende steht eine wissenschaftliche Ex-Post-Evaluation der tatsächlichen Maßnahmen und Konsequenzen (Kästchen rechts oben), die gleichzeitig den Ausgangspunkt für einen neuen Assessment-Zyklus darstellt.

Unser Beitrag: Politikrelevante Forschung und Assessments

Das MCC strebt an, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Unterstützung des Entscheidungsfindungsprozesses bereitzustellen. Dies geschieht sowohl durch Debatten im Wissenschaftsbereich, beispielsweise innerhalb der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Forschung, als auch in der öffentlichen politischen Diskussion, beispielsweise beim Reformprozess des europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS) oder der Kombination der Rentenbesteuerung mit Reformen der öffentlichen Finanzen. Das MCC bietet politische Beratung für spezifische Zielgruppen wie Entscheidungsträger in internationalen Organisationen, Parlamenten und der öffentlichen Verwaltung sowie andere Interessenvertreter bei Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen, ohne jedoch Politikentscheidungen vorzugeben.

Das MCC trägt zur Erstellung von Assessments bei, indem es politikrelevante Forschungslücken schließt, in Assessment-Prozesse eingebunden ist und die Assessment-Erstellung analysiert (siehe weiße Elemente der ersten Abbildung oben):

  • Schließung politikrelevanter Forschungslücken: Das MCC veröffentlicht seine Forschungsergebnisse zu politikrelevanten Forschungslücken und spezifischen Politikpfaden in renommierten interdisziplinären Fachzeitschriften wie Science, Nature und PNAS sowie in spezifischen Journals einzelner Disziplinen, beispielsweise im Bereich der Wirtschafts- und Umweltwissenschaften.
  • Einbindung in Assessment-Prozesse: Das MCC ist unmittelbar und aktiv in groß angelegte, internationale und formalisierte Assessment-Prozesse eingebunden, wie beispielsweise die des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und des International Panel on Social Progress (IPSP). Die Mitarbeiter des MCC haben zudem ein Pilotassessment initiiert zur Reform des Europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) und nehmen darüber hinaus durch Interaktionen mit hochrangigen Interessenvertretern und Institutionen an informellen Dialogen zwischen Wissenschaft und Politik teil.
  • Analyse der Assessment-Erstellung: Das MCC analysiert systematisch bestehende Prozesse zur wissenschaftlichen Politikberatung und Assessment-Erstellung (bezüglich Design, Format und Inhalt) und berät die entsprechenden Institutionen hinsichtlich deren Verbesserung. So hat das MCC beispielsweise in vielerlei Hinsicht wesentlich zur Debatte über die IPCC-Reform beigetragen.

Die Kombination dieser drei Elemente als Beiträge zur Assessment-Erstellung zeichnet das MCC sowohl in Deutschland als auch international in Wissenschaftsbereichen aus, die sich mit dem Klimawandel und nachhaltiger Entwicklung befassen. Andere Institute konzentrieren sich vorrangig auf einen dieser drei Aspekte, selten aber auf deren Kombination.

Lesen Sie mehr über unsere Arbeit im Abschnitt Wichtige Beiträge.