13 Prozent weniger Asthma nach Geburt in einer städtischen Umweltzone
MCC-geführte Studie auf Basis von Krankenkassen-Daten beziffert methodisch stringent den Ursache-Wirkung-Zusammenhang. Relevant auch mit Blick auf weitere Fahrverbote.
Erstmals ist der langfristige Nutzen städtischer Umweltzonen für die Gesundheit von Kindern wissenschaftlich fundiert beziffert worden. Ein Kernergebnis lautet: Allein das Glück, die Zeit im Mutterleib und das erste Lebensjahr in einer Gegend mit statt ohne Umweltzone zu verbringen, führt bis zum fünften Geburtstag im Schnitt zu 13 Prozent weniger Verschreibungen von Asthma-Arzneien. Die Studie beschreitet neue Wege bei der Evaluation von Umwelt- und Klimapolitik. Sie wurde geleitet vom Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change), in Kooperation mit den Universitäten Frankfurt am Main und Maastricht, und publiziert in der renommierten Fachzeitschrift American Economic Journal: Economic Policy.
Vor allem als Maßnahme gegen Feinstaub aus Dieselmotoren haben allein in Europa über 200 Städte Umweltzonen eingerichtet, mit Fahrverbot für Autos jenseits bestimmter Abgaswerte. Das Forschungsteam schaut auf Deutschland und stützt sich unter anderem auf amtliche Erhebungen zur Luftqualität sowie anonymisierte Patientendaten des größten Krankenkassenverbunds AOK, der etwa ein Drittel der Bevölkerung abdeckt. Im Fokus stehen die Arzneiverschreibungen für eine halbe Million neugeborene Kinder mit Wohnsitz im städtischen Umfeld in den Jahren 2006 (zwei Jahre vor Start der ersten Umweltzone in Deutschland) bis 2017.
„Um die Kausalbeziehung zu isolieren, arbeiten wir ähnlich wie in einem Laborexperiment mit Versuchs- und Kontrollgruppe“, erläutert Hannah Klauber, Postdoc im Policy Evaluation Lab des MCC und Leitautorin der Studie. „Wir vergleichen Kinder mit Geburt vor und nach Einführung des Fahrverbots mit einer Kontrollgruppe von Kindern aus Städten, die erst später eine Umweltzone einführten und die in Bezug auf Wetterbedingungen und soziale Strukturen ähnlich sind.“ Mit dieser Methode lässt sich der in den Blick genommene Ursache-Wirkung-Zusammenhang beziffern: wie stark die Gesundheit in den ersten fünf Lebensjahren allein dadurch profitiert, dass es in der frühen Lebensphase von Empfängnis bis erstem Geburtstag den Schutz durch eine Umweltzone gibt. In dieser Zeit, in der sich die Körperzellen schnell teilen und für ihre Funktion programmiert werden, sind Kinder besonders anfällig für Umweltgifte.
Die Studie bestätigt bisherige Erkenntnisse, wonach Umweltzonen in Deutschland zu 5 Prozent weniger Feinstaub-Belastung führten. Und die Auswertung der Arznei-Verschreibungen bringt bemerkenswerte neue Erkenntnisse. Die Umweltzonen bewirken hier für das Gesundheitssystem eine über fünf Jahre anhaltende deutliche Kostenentlastung, die sich zu 92 Prozent auf Asthma-Präparate konzentriert. Die Zahl der Asthma-Verschreibungen wird um 13 Prozent gemindert, überproportional bei hochpreisigen Präparaten, so dass die Kostenersparnis sogar 21 Prozent beträgt. Insgesamt belegt die Datenanalyse rund 30 Millionen Euro weniger Arzneikosten bei den durch Umweltzonen geschützten Kindern bis 2017.
Allein diese volkswirtschaftliche Ersparnis deckt laut der Studie schon ein Viertel der hypothetischen Nachrüstungskosten für jene 200.000 älteren Diesel-Fahrzeuge ab, die bei Einführung der Umweltzonen nicht mal die einfachste, rote Plakette bekamen und als erstes vom Fahrverbot betroffen waren. Und um die Kausalbeziehung sauber zu isolieren, beschränkt sich die Studie ja auf einen kleinen Ausschnitt: Der Nutzen davon, auch nach dem ersten Geburtstag in besserer Luft zu leben, wird nicht miterfasst, auch nicht die vermiedenen Kosten ärztlicher Versorgung sowie alle Einsparungen nach dem fünften Geburtstag – und schon gar nicht der langfristige Nutzen besserer Gesundheit für Bildungserfolg oder Erwerbsperspektiven.
„Unser quasi-experimenteller Forschungsansatz bietet viel Raum, um je nach Daten den Nutzen von Politikmaßnahmen auch umfassender in den Blick zu nehmen“, sagt Nicolas Koch, Leiter des Policy Evaluation Lab am MCC und Co-Autor der Studie. „Das ist generell relevant für die Bewertung von Umwelt- und Klimapolitik – und nicht zuletzt mit Blick auf weitergehende Fahrverbote. Zu solchen Eingriffen wird es noch hitzige Debatten geben. Und damit Anreiz, Gesundheitseffekte sauber zu beziffern.“
Quellenhinweis zur zitierten Studie:
Klauber, H., Holub, F., Koch, N., Pestel, N., Ritter, N., Rohlf, A., 2024, Killing Prescriptions Softly: Low Emission Zones and Child Health from Birth to School, American Economic Journal: Economic Policy
https://www.aeaweb.org/articles?id=10.1257/pol.20210729