Bei globalen Krisen braucht die Politik Evidenz in Echtzeit

Zu Corona gibt es da schon Ansätze – bald auch zu Klimapolitik? Ein Artikel im Top-Journal „Nature“ beschreibt den Weg zu einer neuen Stufe der Forschungssynthese.

Hier setzt man schon auf „Living Evicence“: Zentrale der WHO in Genf. | Foto: Shutterstock/Skorzewiak

15.12.2021

Den Erkenntnisstand zu Corona fortlaufend bündeln und aktualisieren – hier setzt Australien gerade weltweit Maßstäbe. Mehr als 70-mal innerhalb von 20 Monaten wurden dort Politik und Öffentlichkeit mit einem umfassenden Update versorgt, erstellt von Fachleuten aus Medizinbetrieb und Wissenschaft in der „COVID-19 Clinical Evidence Taskforce“. Die Echtzeit-Synthese von Forschung wird durch die Pandemie Realität, dies bringt Chancen auch für den Kampf gegen andere globale Krisen wie etwa die Erderhitzung. Das beleuchtet ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) in einem Artikel in der renommierten Fachzeitschrift Nature.

Das Forschungsteam, das zum Teil aus dem Umfeld dieser COVID-19-Taskforce stammt, nennt dieses System „Living Evidence“. Auf einer solchen permanent aktualisierten Informationsquelle beruhen inzwischen auch schon die Corona-Richtlinien von Großbritannien und der Weltgesundheitsorganisation WHO; ein wichtiger Motor für diese Innovation ist das globale Wissensnetzwerk Cochrane. Der Artikel beschreibt die Voraussetzungen für Living Evidence – etwa den Einsatz von künstlicher Intelligenz zum Scannen großer Datenmengen sowie die freie Zugänglichkeit von Forschungsdaten – und auch die Herausforderungen etwa für Forschungsförderung und wissenschaftliche Verlage. Das Fazit lautet: Die Dynamik in der Problemlage, wie sie etwa in der Corona-Krise aktuell durch das Aufkommen der Omikron-Variante markiert ist, erfordert die schnelle Bereitstellung von robuster wissenschaftlicher Evidenz als Entscheidungsgrundlage, sonst riskierenden die Regierenden falsche Entscheidungen, und Politik und Wissenschaft verlieren an Glaubwürdigkeit.

Auch in Feldern außerhalb der Medizin, so wird betont, sollten sich die Forschung und die Forschungsförderung auf das Konzept von Living Evidence einlassen. „Das gilt insbesondere auch für das Feld der Klimapolitik“, sagt Jan Minx, Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung am MCC und ein Co-Autor des Artikels. „Wir brauchen bessere und schnellere Forschungssynthese, die uns robustes Entscheidungswissen liefert. Die Kenntnis darüber, welche Lösungen funktionieren, ist noch lückenhaft, doch wir müssen schnell reagieren und können uns nicht viele Fehler leisten. Als Orientierungsgrundlage für die unzähligen Entscheidungen, die für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft erforderlich sind, gibt es zu einem solchen agilen Ansatz keine Alternative.“

 

Weitere Informationen:

  • Elliot, J., Lawrence, R., Minx, J., Olapado, O., Ravaud, P., Jeppesen, B., Thomas, J., Turner, T., Vandvik, P., Grimshaw, J., 2021, Decision makers need constantly updated evidence synthesis, Nature
    https://www.nature.com/articles/d41586-021-03690-1
  • Eine Pressemitteilung des Forschungsteams zum Nature-Artikel findet sich hier (Englisch).
  • Eine MCC-News vom Januar 2021 zur Gesundheitsforschung als Vorbild für die Klimaforschung findet sich hier.