Die Menschheit muss jährlich sieben bis neun Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre holen
Neuer State-of-CDR-Report zeigt die Notwendigkeit einer viel stärkeren Politik. Gemeinsame Pressemitteilung von MCC, SWP, IIASA, Uni Oxford und University of Wisconsin-Madison.
Sieben bis neun Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr müssen ab Mitte des Jahrhunderts nachhaltig aus der Atmosphäre entfernt werden, wenn die Welt das 1,5-Grad-Limit des Pariser Abkommens einhalten soll. Dies geht aus dem zweiten Bericht „State of Carbon Dioxide Removal“ (CDR, Stand der CO2-Entnahmen) hervor, der weltweit führenden wissenschaftlichen Bewertung eines internationalen Teams von über 50 Fachleuten. Der Bericht wurde geleitet von der Smith School of Enterprise and the Environment der Universität Oxford, zu den federführenden Einrichtungen gehört das Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change).
„Emissionsminderung ist für netto null vorrangig, aber CO2-Entnahmen spielen eine wichtige Rolle“, sagt Jan Minx, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung. „Aber beim Hochskalieren der Entnahme-Technologien darf die Menschheit nicht andere Ziele gefährden – wie die Ernährungssicherheit, die biologische Vielfalt, sichere Wasserversorgung oder sichere Lebensräume für indigene Völker. Aus diesem Grund haben wir in unsere Analyse Nachhaltigkeitskriterien einbezogen. Und daraus abgeleitet unsere finale Abschätzung der Paris-kompatiblen CO2-Entnahmemenge getroffen."
Aktuell werden nur jährlich 2 Milliarden Tonnen CO2 entnommen, meist durch konventionelle Methoden wie Aufforstung. Neuartige Entnahme-Methoden – wie Pflanzenkohle, beschleunigte Gesteinsverwitterung, CO2-Direktabscheidung und Speicherung (DACCS) und Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -speicherung (BECCS) – summieren sich mit jährlich 1,3 Millionen Tonnen auf unter 0,1 Prozent der Gesamtmenge. Auf tatsächlich dauerhafte Methoden entfallen nur jährlich 0,6 Millionen Tonnen, das sind unter 0,05 Prozent.
Das Thema CO2-Entnahmen legte in der Forschung, im öffentlichen Bewusstsein und bei Start-up-Firmen stark zu, doch jetzt gibt es Anzeichen für langsamere Entwicklung. „Ein breit gefächertes CDR-Portfolio ist eine robustere Strategie als die Konzentration auf eine oder zwei Methoden“, sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „Die Diversifizierung zeigt sich bei Forschung, Erfindungen und Investitionen in Start-ups – aber der Einsatz und Regierungsvorschläge für die Zukunft konzentrieren sich eher auf konventionelle CDR, hauptsächlich über die Forstwirtschaft.“
Steve Smith von der Smith School of Enterprise and the Environment der Universität Oxford sagt: „Da die Welt bei der Dekarbonisierung nicht auf dem mit dem Pariser Temperaturziel vereinbaren Pfad ist, müssen die Investitionen in CO2-Entnahmen sowie in emissionsfreie Lösungen insgesamt erhöht werden.“ Von den gesamten Investitionen in Start-ups im Bereich Klimatechnologie entfallen nur 1,1 Prozent auf CO2-Entnahmen. Der Bericht konstatiert bei mit diesem Thema befassten Firmen ehrgeizige Ziele, die die Entnahme-Mengen durchaus auf ein mit dem Paris-Abkommen konsistentes Niveau bringen würden. Aber die Ambitionen sind wenig belastbar: Voraussetzung wäre eine viel stärkere Politik als derzeit praktiziert. „Es hängt entscheidend an den Regierungen, die Voraussetzungen für nachhaltige Skalierung der CO2-Entnahmen zu schaffen", so Smith.
Der Bericht appelliert die Regierungen, mit geeigneten Maßnahmen die Nachfrage nach CO2-Entnahmen zu erhöhen. Dazu gehören die Einbettung entsprechender Maßnahmen in die Nationally Determined Contributions (Klimaschutzpläne im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC) und die Entwicklung besserer Überwachungs-, Berichts- und Prüfsysteme. Gegenwärtig stammt ein Großteil der Nachfrage nach CO2-Entnahmen aus freiwilligen Verpflichtungen von Unternehmen zum Kauf sogenannter Carbon Removal Credits. Matthew J. Gidden, Senior Scholar am International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA), sagt: „Die durchgreifende Emissionsreduktion zu verzögern, verschärft den künftigen Handlungsdruck. Und je länger die Welt zögert, desto begrenzter ist die Rolle, die eine nachhaltig definierte CO2-Entnahme spielen kann.“
Quellenhinweis zur zitierten Studie:
Smith, S., Geden, O., Gidden, M., Lamb, W., Nemet, G., Minx, J., Buck, H., Burke, J., Cox, E., Edwards, M., Fuss, S., Johnstone, I., Müller-Hansen, F., Pongratz, J., Probst, B., Roe, S., Schenuit, F., Schulte, I., Vaughan, N., Anadon, L., Arcusa, S., Bellamy, R., Cowie, A., Dayathilake, L., Engelmann, T., Ganti, G., Gasser, T., Grassi, G., Greene, J., Hasegawa, T., Hofbauer, V., Hoffmann, V., Höglund, R., Honeborg, D., Kennedy, K., Lück, S., Repke, T., Mercer, L., Odeh, N., Ochi, Y., Pilli, R., Roman-Cuesta, R., Strefler, J., Surana, K., Sugiyama, M., Schell, K., Schwingshackl, C., Smith, H., Toetzke, M., Thomas, Z., Walsh, N., Zaiser, A., Zheng, Q., 2024, The State of Carbon Dioxide Removal – 2nd Edition.
https://www.stateofcdr.org/