Damit die EU einig bleibt: Statt Gaspreisbremse empfehlen Ökonomen eine Einsparprämie

Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ weist den Ausweg aus dem Verteilungskonflikt. Ein neuer Finanzmechanismus soll den Verbrauch drosseln helfen.

Zentrale der EU-Kommission in Brüssel: Das Gas als Brennstoff für die Heizung von Millionen Haushalten ist knapp, und es nahen die dunklen Wintertage. | Foto: Shutterstock/Michailidis

22.10.2022

Die durch Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste Gaspreis-Krise stellt die EU vor eine politische Zerreißprobe: Um die Bevölkerung zu entlasten, treten nationale Regierungen auf die Gaspreis-Bremse, doch dadurch verschärft sich das Problem noch. Es wird zu wenig eingespart und zu wenig neu auf den Markt gebracht, und im Ergebnis entsteht ein Verteilungskonflikt zwischen Ländern mit und ohne gute Import-Logistik. Dieses Dilemma sowie den Ausweg daraus beschreibt jetzt ein Gastbeitrag von vier Ökonomen in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Er wurde verfasst mit Beteiligung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) und ist auch frei zugänglich im „Common Economics Blog“ des MCC.

Der Artikel wirbt für eine 180-Grad-Umkehr in der Gaspreis-Krise. „Anstatt den heimischen Verbrauch zu subventionieren, muss die europäische Einsparung von Gas belohnt und das Gasangebot gleichzeitig erhöht werden“, schreiben die Autoren Ottmar Edenhofer und Matthias Kalkuhl vom MCC, Axel Ockenfels von der Uni Köln und Georg Zachmann vom Thinktank Bruegel in Brüssel. Sie rechnen vor, wie sich Europa gegenseitig schädigt: „Sollte Deutschland zum Beispiel 5 Prozentpunkte weniger Gas als geplant gegenüber den Vorjahren einsparen, würde der europäische Gaspreis infolge der erhöhten deutschen Nachfrage um 15 Euro je Megawattstunde ansteigen müssen, um genügend Gaskunden in anderen Mitgliedstaaten vom Verbrauch abzuhalten.“

Die Kosten erhöhen sich, statt zu sinken, und zwar vor allem im Ausland: Dort erhöht sich die Rechnung für Gas und auch für Strom um insgesamt 53 Milliarden Euro im Jahr, in Deutschland um 24 Milliarden Euro. Bezogen auf den ausgelösten zusätzlichen Gas-Verbrauch in Deutschland wären das „gewaltige 1,70 Euro je Kilowattstunde, wovon mehr als 1,20 Euro je Kilowattstunde unsere Nachbarn tragen“, beziffert das Autorenteam die absurde Folge der Gaspreis-Bremse.

Als ökonomisch vernünftige Alternative präsentiert es das Konzept einer europäischen Einsparprämie. „Eine Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten sollte vorsehen, dass die Länder die direkte und indirekte Subventionierung ihres Gasverbrauchs beenden und alle Möglichkeiten ausschöpfen, das Angebot zu erhöhen. Zugleich sollte ein Fonds aufgelegt werden, der an jene Länder eine Prämie ausbezahlt, denen es gelungen ist, den Gasverbrauch zu senken.“ Dieser Fonds sollte zunächst Länder wie Deutschland, die Niederlande, Polen, Österreich, Dänemark und die Tschechische Republik umfassen, in denen wegen schlechter Gasimport-Logistik der politische Druck zum Subventionieren besonders groß ist.

Die kooperationsfördernde Funktion eines solchen Anreizmechanismus beschreiben die Ökonomen anhand einer weiteren Überschlagsrechnung. Wenn der Fonds für diese Ländergruppe eine Einsparprämie von 10 Cent je eingesparter Kilowattstunde Gas auszahlen soll, und zwar für ein Einsparziel von 20 Prozent des Verbrauchs, dann beträgt das Fondsvolumen in einem Jahr 56 Milliarden Euro. Deutschland müsste entsprechend seiner Wirtschaftsleistung oder seiner historischen Gasimporte aus Russland in den Fonds einzahlen, bekäme aber beim Erreichen des Einsparziels in etwa genauso viel wieder heraus. Und durch die Einsparungen, die entsprechend entspanntere Versorgungslage und den nachlassenden Preisdruck wird die Bevölkerung nachhaltiger entlastet als durch die Gaspreis-Bremse.

Deren schädliche Anreizwirkung werde somit auf den Kopf gestellt, heißt es im Fazit: „Gaseinsparungen im eigenen Land und in anderen Ländern werden zum eigenen und europäischen Vorteil belohnt.“

 

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