Der Ausbau der Kohlekraft in schnell wachsenden Schwellenländern macht den Rückgang beim Kohle-Zubau in China und Indien teils zunichte, sagt eine neue MCC-Studie.
Der Rückgang neuer Kohlekraftwerke in China und Indien wird durch den geplanten Zubau in schnell wachsenden Schwellenländern wie etwa der Türkei, Indonesien und Vietnam teilweise zunichte gemacht. Nur wenn die Staaten der Welt diesem Trend aktiv entgegen wirken, können sie die im Pariser Abkommen vereinbarten Klimaziele erreichen. Das sind Ergebnisse der Studie „Reports of coal’s terminal decline may be exaggerated“. Wissenschaftler des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) haben sie in der Fachzeitschrift Environmental Research Letters veröffentlicht.
„Das Kohleproblem erledigt sich trotz aller Fortschritte bei den erneuerbaren Energien keinesfalls von selbst. Wenn die internationale Gemeinschaft ihre Ziele zur Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen erreichen will, um die größten Klimarisiken noch zu vermeiden, dann muss sie entschlossen handeln“, sagt MCC-Direktor Ottmar Edenhofer, der auch PIK-Chefökonom ist. „Nötig wäre ein Kohleausstieg, und zwar weltweit. Das beste Mittel hierfür ist aus ökonomischer Sicht eine substanzielle Bepreisung von CO2. Diese kann von einem Land zum anderen unterschiedlich aussehen, aber eine Koalition von Pionieren müsste den Anfang machen – noch in diesem Jahrzehnt.“
China und Indien haben im Laufe des Jahres 2016 jeweils über 50 Prozent ihrer Pläne für neue Kraftwerke zurückgenommen. Doch global gesehen steigt die Zahl der Kohlekraftwerke weiter an. So haben zum Beispiel die Türkei, Indonesien und Vietnam vor, zusammengenommen ihre Kapazität um circa 160 Gigawatt zu erhöhen. Das würde etwa der Leistung aller bereits bestehenden Kohlekraftwerke in den 28 EU-Staaten entsprechen.
Hinzu kommt, dass im Jahr 2016 andere Länder ihre Zubaupläne massiv erhöht haben, zum Beispiel Ägypten um fast 800 und Pakistan um 100 Prozent. Diese Entwicklungen gefährden die nationalen Selbstverpflichtungen der Länder zum Klimaschutz (NDCs): Sie würden bedeuten, dass sich der CO2-Ausstoß aus Kohlekraftwerken von 2012 auf 2030 beispielsweise in Vietnam fast verzehnfachen und in der Türkei fast vervierfachen würde.
„Zwar hat China jüngst weniger auf Kohle gesetzt und vielleicht sogar den Höhepunkt seiner CO2-Emissionen überschritten“ sagt Edenhofer. „Das hat zu Recht starke Beachtung gefunden – doch der Untergang der Kohle wurde zu früh ausgerufen: Neuste Daten zeigen auch, dass China zunehmend in Kohlekraftwerke im Ausland investiert.“
Der ungebremste Zubau von Kohlekraftwerken wird das weltweite
CO2-Budget, um wie im Paris-Abkommen vereinbart die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius zu begrenzen, nahezu aufbrauchen. Wenn die Welt mit hoher Wahrscheinlichkeit unterhalb dieser Grenze bleiben will, kann sie laut Weltklimarat IPCC
nur noch circa 700 bis 800 Gigatonnen (Gt) CO2 in die Atmosphäre ausstoßen.
Doch die bestehende Infrastruktur, etwa Kraftwerke und Gebäude, emittiert über ihre lange Lebensdauer von vielen Jahren bereits etwa 500 Gt. Mit den aktuell im Bau befindlichen und den zusätzlich geplanten Kohlekraftwerken kämen 150 Gt hinzu. Weitere Emissionen wie die aus dem Wachstum beim Verkehr oder der Landwirtschaft würden das Gesamtbudget dann übersteigen. Die Wissenschaftler bauen ihre Untersuchung auf Daten der US-amerikanischen Organisation CoalSwarm und der Internationalen Energieagentur (IEA) auf und haben sie durch eigene Forschungen weitergeführt.
„Obwohl die Kosten bei den Erneuerbaren Energien zuletzt gefallen sind, können sie sich noch nicht flächendeckend mit der billigen Kohle messen“, sagt
Jan Steckel, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung. „Die
Finanzierungskosten für die Erneuerbaren in Entwicklungs- und Schwellenländern stagnieren auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Damit es hier zu höheren Investitionen kommt, müssten die Kapitalkosten durch kluge Finanzpolitik wie etwa den Einsatz von Kreditausfallversicherungen sinken.“
Die Wissenschaftler zeigen Lösungen für einen globalen Kohleausstieg auf. Denkbar wären demnach ein Fahrplan zur Schließung von Kohleminen, strengere Kraftwerksvorschriften und weltweit steigende CO2-Preise, kombiniert mit dem Einsatz der Einnahmen aus der Bepreisung in den sozial gerechten Umbau der Steuersysteme oder den Ausbau von gesellschaftlich notwendiger Infrastruktur.