Wie sich CO2-Entnahme in die Architektur der EU-Klimapolitik einfügt

Forschungsteam um MCC-Direktor Ottmar Edenhofer legt ein ökonomisch fundiertes Steuerungskonzept vor. Schlüsselrolle für eine Europäische Kohlenstoff-Zentralbank.

Gebäude der EU-Kommission in Brüssel: „Es ist wichtig, die Zuständigkeiten transparent und robust im EU-Machtapparat zu verankern.“ | Foto: Shutterstock/XavierLejeune

28.03.2024

Für zügiges Mindern der Klimagas-Emissionen hat die EU in jüngster Zeit weitreichende Beschlüsse gefasst. So wird sie, wie in Energiewirtschaft und Industrie, ab 2027 auch in den Problemsektoren Wärme und Verkehr den CO2-Ausstoß per Emissionshandel deckeln und schrittweise in Richtung null reduzieren. Doch wie kann die EU zugleich auch zügiges Wachstum von „negativen Emissionen“ realisieren? Also großskalige CO2-Entnahme aus der Atmosphäre, ohne die ihr Ziel „Klimaneutralität 2050“ nicht zu schaffen ist? Das beleuchtet eine Studie des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Sie wurde jetzt in der renommierten Fachzeitschrift FinanzArchiv veröffentlicht.

„CO2-Entnahme als die zweite Säule des Klimaschutzes wird uns in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts viel Geld kosten – die Schätzungen reichen von 0,3 bis 3 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung“, sagt Ottmar Edenhofer, Direktor von MCC und PIK und einer der Autoren. „Doch die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema dreht sich bisher um technische Aspekte und nicht um die volkswirtschaftliche Frage, wie man diese Herkulesaufgabe effizient angehen kann. In der EU-Hauptstadt Brüssel wird inzwischen genau darüber intensiv diskutiert. Wir liefern dazu jetzt ein theoretisch fundiertes und sehr konkret ausgearbeitetes Steuerungskonzept.“

Die Studie gibt einen kurzen Überblick über technische Verfahren mit Kosten und denkbaren Mengen, startet dann aber mit einer grundsätzlichen ökonomischen Betrachtung: So wie der Staat CO2-Ausstoß verteuert, um seine negative Folgen zu begrenzen, sollte er CO2-Entnahme subventionieren. Als grundlegendes Prinzip zur Kostenminimierung sollte dabei für jede entnommene und dauerhaft gespeicherte Tonne CO2 der gleiche Preis verwendet werden wie für die Emission einer Tonne CO2 in die Atmosphäre. Das Forschungsteam analysiert zudem die Folgen einer natürlichen Unzulänglichkeit: Die Entnahmen sind meist nicht dauerhaft, das Klimagas muss also immer wieder neu extrahiert werden.

Unmittelbar kostengünstige landbasierte Optionen, wie die Aufforstung oder das Anreichern von Kohlenstoff auf Äckern, kann dadurch etwa im Vergleich zu Luftfilter-Anlagen mit dauerhafter unterirdischer Speicherung entscheidend an Attraktivität verlieren. Zur Illustration rechnet die Studie vor: Wenn eine nicht-permanente CO2-Speicherung nur zehn Jahre hält, die Kosten dieser Speicherung jährlich um 1 Prozent steigen und der Realzins 2 Prozent beträgt, dann muss der Anbieter eines solchen Verfahrenes eigentlich das Zehnfache der ursprünglichen Investitionssumme für Folgeinvestitionen zurücklegen.

Daraus ergeben sich Herausforderungen für die Politik, etwa mit Blick auf den Regulierungspunkt bei CO2-Bepreisung und Entnahmesubventionen sowie in Bezug auf Risikomanagement und Haftung. Vor diesem Hintergrund entwickelt das Forschungsteam sein Steuerungskonzept. So erscheint es sinnvoll, wenn die EU Subventionen zunächst an die Dauerhaftigkeit der Entnahme koppelt („Upstream pricing“). Erst wenn auch die CO2-Emissionen im Landsektor umfassend ermittelt sind und der Bepreisung unterliegen, können Entnahmen unterschiedslos gefördert werden.

„Für den Erfolg einer solchen Steuerung ist es wichtig, die Zuständigkeiten transparent und robust im EU-Machtapparat zu verankern“, sagt Artur Runge-Metzger, MCC-Fellow und ebenfalls einer der Autoren. „Die vier entscheidenden Stellschrauben sind die Mengensteuerung der Netto-Emissionen, die Regelung der Haftung bei nicht permanenten Entnahmen, die finanzielle Förderung von Entnahme-Ausbau und Innovation sowie die Zertifizierung der Anbieter.“

Für die ersten beiden Aufgaben schlägt die Studie eine Europäische Kohlenstoff-Zentralbank vor, außerdem zwei Behörden für Finanzierung und Qualitätssicherung. Runge-Metzger war langjähriger Direktor in der Generaldirektion Klima der EU-Kommission und verstärkt seit 2022 das MCC an der Schnittstelle zur Politik. Er betont: „Wir sind der Ansicht, dass dieser Vorschlag im Rahmen der derzeitigen politischen Architektur der EU durchführbar ist.“

 

Quellenhinweis zur zitierten Studie:
Edenhofer, O., Franks, M., Kalkuhl, M., Runge-Metzger, A., 2023, On the Governance of Carbon Dioxide Removal – A Public Economics Perspective, FinanzArchiv/European Journal of Public Finance

https://viewer.content-select.com/pdf/viewer?ip=145.253.110.218&id_type=doi&identifiers=10.1628%2Ffa-2023-0012&signature=f071898f0326313e407e094e9e36cbfcbf29614c&frontend=1&language=eng